NACHHALTIGKEIT INS GRUNDGESETZ? WANN, WENN NICHT JETZT.
Michael Kaminski-Nissen nahm als B.A.U.M.-Repräsentant am 8. Juni 2016 an der Öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung zum Thema "Nachhaltigkeit ins Grundgesetz?" teil. Für B.A.U.M. fasste er die Diskussion zusammen.
Die Anhörung wurde vom Vorsitzenden des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung (PBnE) Andreas Jung, MdB (CDU), und seinem Stellvertreter Dr. Lars Castellucci, MdB (SPD), geleitet. Die geladenen Sachverständigen waren:
- Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts a.D.
- Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin und Mitgründerin der Humboldt-Viadrina Governance Platform gGmbH
- Prof. Dr. Joachim Wieland, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer
Im Nachgang zu den Experten-Statements gab es Einschätzungen und Fragen der bei der Anhörung anwesenden Mitgliedern des Bundestags: Dr. Andreas Lenz (CSU), Matern von Marschall (CDU), Carsten Träger (SPD), Bernd Westphal (SPD), Dr. Valerie Wilms (Bündnis 90/Die Grünen) und Birgit Menz (Die Linke). Unter den Gästen waren außerdem etliche Mitarbeiter des Rats für Nachhaltige Entwicklung, insbesondere auch dessen Generalsekretär Prof. Dr. Günther Bachmann.
Den Einstieg in die Anhörung machte Andreas Jung mit den Worten, man habe die Experten eingeladen „für eine politische Diskussion zur Frage, wie es gelingen kann, den Gedanken der Nachhaltigkeit, das Erfordernis nachhaltiger Entwicklung zu stärken im politischen Prozess und in der Gesetzgebung im Speziellen. Es fällt in eine Zeit, in der die Nachhaltigkeit wie selten intensiv national und international diskutiert wird." Mit Hinweis auf die im September letzten Jahres bei den Vereinten Nationen vereinbarten Sustainable Development Goals (SDGs) und der daraus resultierenden Verpflichtung zur nationalen Umsetzung auch in Deutschland, führte er weiter aus, dass „wir uns die Frage zu stellen haben, inwieweit und durch welche konkreten Maßnahmen der Verankerung dieser Gedanke nachhaltiger Entwicklung in allen politischen und staatlichen Bereichen tatsächlich umgesetzt werden kann."
Prof. Papier erläuterte sein Votum für ein Staatsziel Nachhaltigkeit und stellte zusammenfassend fest, „bei der hier in Rede stehenden Staatszielbestimmung ginge es in meinen Augen um eine überfällige, ja letztlich verfassungsunmittelbare und sektorübergreifende Klarstellung bzw. Konkretisierung des Demokratieprinzips des Artikel 20." Im Verlauf der späteren Diskussion präzisierte er dies und plädierte sogar für eine Ergänzung des Artikels 20 (2) um einen entsprechenden dritten Satz, da dies „die besondere Bedeutung dieses Nachhaltigkeitspostulats zum Ausdruck bringen würde."
Prof. Schwan bewertete die Thematik aus politikwissenschaftlicher Sicht und ging u.a. auf den in der späteren Diskussion auch noch angesprochenen Punkt der „Unschärfe des Begriffs Nachhaltigkeit" ein. Sie sieht diese Unschärfe als nicht schädlich an, da sie im jeweiligen Einzelfall ohnehin eine konkrete Verständigung über das jeweils Gemeinte erforderlich sei. Bezogen auf ein Staatsziel Nachhaltigkeit führte sie aus, dass „die Einführung dieses Ziels als Appellationsinstanz, als Grundorientierung, wohin ein politisches Gemeinwesen und eine Gesellschaft wollen, sehr wichtig ist, dass es aber den Raum bieten muss, unbedingt die jeweiligen Implikationen der Positionen mit Begründung auszutauschen und dass man nur so auch eine nachhaltige, den Zusammenhalt fördernde Politik betreiben kann. Unter diesem Aspekt plädiere ich aber für die Einführung des Staatsziels der Nachhaltigkeit in das Grundgesetz."
Prof. Wieland schloss sich den vorherigen Argumentationen im Wesentlichen an und schlug vor, den Artikel 20 Grundgesetz mit dem relativ schlichten Satz „Der Staat beachtet bei seinem Handeln das Gesetz der Nachhaltigkeit." zu ergänzen. Dies hätte zur Folge, „dass die Regierung, wenn sie einen Gesetzentwurf macht, so wie sie es jetzt seit einiger Zeit auch schon tut, deutlich machen müsste, dass sie Nachhaltigkeitserwägungen angestellt hat. […] Das Parlament müsste in seinen parlamentarischen Beratungen […] deutlich machen, dass Nachhaltigkeit in seinem Bewusstsein, in seinen Köpfen ist. Für die Verwaltung und für die Rechtsprechung hätte das Nachhaltigkeitsprinzip als juristisch verbindliches Staatsziel die Wirkung, dass dort, wo Entscheidungsspielräume sind, Nachhaltigkeit berücksichtigt werden muss."
Der stellvertretende PBnE-Vorsitzende Dr. Castellucci stellte zum Abschluss der Anhörung zusammenfassend fest, dass insbesondere auch aufgrund der abwägenden Einschätzungen der Experten eine klare Botschaft an die Politik zum Handeln erfolgt sei. Das gelte auch neben der heutigen juristischen und politikwissenschaftlichen Bewertung aufgrund der inhaltlich-fachlichen Einschätzung bei der Anhörung im Mai letzten Jahres mit den Experten Prof. Klaus Töpfer, Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker und Prof. Günther Bachmann. Zum Zeitfenster für das weitere Handeln sagte Dr. Castellucci: „Jetzt haben wir gleichzeitig gehört, Nachhaltigkeit hat etwas mit Langfristigkeit zu tun und mit Dauer. Und so haben wir jetzt auch vielleicht nicht die Erwartung, dass uns das noch in dieser Legislaturperiode unbedingt oder von selbst gelingen kann, Nachhaltigkeit ins Grundgesetz 'reinzubekommen." Aber mit Verweis auf die angesprochenen Konferenzen und globalen Entscheidungen in New York und Paris sowie das aktuell intensive Befassen mit der Nachhaltigkeit in Deutschland auf breiter politischer und gesellschaftlicher Ebene schloss er mit den Worten „Wann, wenn nicht jetzt."SCHON GESEHEN?
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