MITGLIED WERDEN
NEWSLETTER ABONNIEREN

NEW WORK: BALANCE ZWISCHEN INDIVIDUELLER FREIHEIT UND GEMEINSCHAFT

Am 18. Oktober war New Work Thema beim BAUM-Praxistalk "Digitalisierung und Nachhaltigkeit". Gastgeber war das BAUM-Mitglied HIRSCHTEC. Dessen Gründer und Geschäftsführer Lutz Hirsch betonte, dass neben Prozessen und datenbasierten Optimierungen auch die digitale Fitness und der Umgang mit hybriden Arbeitszeitwelten ein wesentlicher Teil von New Work sei.

Zu Beginn fragte die BAUM-Vorsitzende Yvonne Zwick als Moderatorin: "Was macht Ihr Unternehmen bzw. Ihre Organisation aktuell in punkto New Work?" Die Antworten, die in Mentimeter abgebildet wurden, ergaben folgendes Bild:

Lutz Hirsch, Gründer und Geschäftsführer von HIRSCHTEC, stellte anschließend anhand des HIRSCHTEC Digital Workplace die Tool-Landschaft dar, mit der seine Agentur arbeitet. Das altgediente Intranet laufe in vielen Unternehmen aus, so Hirsch. Es stelle sich dann die Frage, wie eine digitale Heimat für die vielen Mitarbeitenden geschaffen werden könne, wenn sie an unterschiedlichen Orten arbeiten. In hybriden Arbeitsmodellen könnten Kontaktpunkte zum Unternehmen und zu Kolleg:innen entstehen, auch wenn die Beziehung zum und das Gespür für das Unternehmen nicht mehr nur durch das gewohnte Vor-Ort-Sein gegeben sei. Abhilfe schaffen könnte zum Beispiel ein "Digitaler Campus" – ein Social Intranet, eine Kontaktverbindung zum Unternehmen, die den Mitarbeitenden helfe, sich als Teil des Unternehmens zu fühlen.

Vernetzung und Transfer digital ermöglichen

Ein Problem von New Work besteht für Hirsch darin, dass Spontanität häufig verloren geht, wenn Mitarbeitende an unterschiedlichen Orten arbeiten. Spontanität sei jedoch wichtig für Innovationen und neue Produktentwicklungen. Daher müsse Vernetzung und Transfer in einem weiteren Bereich der digitalen Infrastruktur ermöglicht werden, so dass Mitarbeitende sich austauschen können und Wissen teilen können. Als dritte Komponente nannte er einen Bereich, in dem das Alltagsgeschäft in digitaler Zusammenarbeit z.B. in Projektgruppen effizient und sinnvoll abgewickelt werden kann.

Neben diesen Prozessen und datenbasierten Optimierungen ist ein wesentlicher Teil von New Work laut Hirsch auch die digitale Fitness und der Umgang mit hybriden Arbeitszeitwelten. Dies sei wichtig, damit Mitarbeitende digitale Tools nicht nur funktional einzusetzen wissen, sondern ihre Arbeit auch sinnvoll und beständig integrieren können. Also: Wie nützlich ist welches Tool wofür, und wo macht es vielleicht auch keinen Sinn? Wo habe ich einen Vorteil durch ein Werkzeug und wo überfordert es mich?

Hybride Modelle sollten Struktur geben und müssten nicht unbedingt für eine völlige Freiheit von beispielsweise Arbeitszeiten stehen, so Hirsch. Neue Formate trügen dazu bei, dass Anwesenheiten so gefördert werden könnten, dass Schnittmengen zwischen den Mitarbeitenden in der täglichen Arbeit geschaffen werden und Austausch stattfinden kann. Dies könnten beispielsweise Stand-ups, Jours fixes oder Tagesworkshops sein. Dafür würden flexible Raummodelle benötigt, die normale Arbeitstätigkeiten genauso unterstützen wie innovativere Tätigkeiten.

Hybrides Führen

Dies erfordere ein hybrides Führen – eine Beziehungsarbeit zwischen Empathie und Stabilität, berichtete der Geschäftsführer von HIRSCHTEC von seinen Erfahrungen. Führungskräfte müssten eine gewissen Transparenz und Nähe zeigen, um Mitarbeitende vor Ort sowie digital mitnehmen zu können. Gleichzeitig brauche es Distanz und Rollenklarheit, da Führungskräfte auch Vorgesetzte blieben. Eine Balance in der Unternehmenskultur sei hier gefordert.

Es werde weiterhin die Problematik geben, so Hirschs Prognose, dass traditionelle Führungsmodelle neuen Arbeitsweisen entgegenstehen könnten. In einigen Unternehmensmodellen könne New Work vielleicht auch gar nicht funktionieren, beispielsweise im gewerblichen Bereich. Unternehmen empfahl er, sich bewusst zu machen, dass New Work nie zu 100 Prozent einzuführen sei.

Wildling als "Remote-First-Unternehmen"

Sarah Kölsch, People and Culture Team Lead bei Wildling, stellte dar, wie tief das Thema New Work im Unternehmenszweck von Wildling verankert ist. Dort heißt es "regeneratives Arbeiten". Ihr Purpose: Re:generation. "Die Regeneration ist das Fundament unserer Arbeit bei Wildling", so Kölsch. Dies bilde die Grundlange für vieles im Unternehmen: Gestaltung und Umsetzung von Strukturen und Prozessen, Kompetenzen, Mindset, Trainingsangebote, Onboarding neuer Mitarbeitender, Zusammenarbeit usw.

Wildling ist ein "Remote-First-Unternehmen", also eine Firma, die das Arbeiten an verschiedenen Orten von vornherein mitgedacht und integriert hat. So hat das Unternehmen 300 Mitarbeitende, die verteilt in Deutschland arbeiten, 72 Prozent davon arbeiten zu 100 Prozent remote und 50 Prozent in Teilzeit. Präsenz sei dennoch für das Unternehmen wichtig und Räumlichkeiten für persönliche Treffen würden den Mitarbeitenden angeboten, berichtete Kölsch. Es gebe in Berlin und Köln Show Rooms mit integrierten Coworking Spaces sowie die Möglichkeiten im Lager in Engelskirchen und im Oberbergischen für Meetings zusammenzukommen und dort auch zu übernachten.

Wichtig sei, dass Strukturen, die im Unternehmen etabliert werden, auch gelebt werden. Hier könne das Unternehmen dabei unterstützen, Kompetenzen und Mindset aufzubauen und zu stärken, um beispielsweise Eigenverantwortung, Selbstorganisation und Stärken der Mitarbeitenden zu fördern. Dies könne mit einer einfachen Frage beginnen – egal ob Führungskraft, Expert:in oder in der Administration: "Was brauchst DU für DICH?"

Sarah Kölsch unterstrich, dass wir noch viel lernen und vor allem verlernen müssten. Dazu gehöre das Hinterfragen von Leistung: Es gehe um viel mehr als Input und Output, sondern um den Sinn, den wir in unserer Arbeit sehen, den Nutzen den wir stiften können und wie wirksam wir sein können.

Anknüpfend an den Purpose und die Werte von Wildling ist das Unternehmen davon überzeugt, dass Menschen gerne arbeiten, wenn sie einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, entsprechend ihrer Stärken eingesetzt werden und man ihnen vertraut.

Operative Distanz, nicht physische Distanz ist das Problem

Dr. Claudia Hespe von der Deutschen Telekom untermauerte die Vorgehensweise von Wildling wissenschaftlich. Sie beschrieb, dass für die Zusammenarbeit die physische Distanz (geografische, zeitliche und organisatorische Distanz) nur halb so schwerwiegend sei wie operative Distanz (Kommunikationsdistanz, Multibelastung, Einsatzfähigkeitsdistanz), und diese wiederum nur halb so schwerwiegend wie Affinitätsdistanz. Die Affinitätsdistanz bestehe aus kultureller Distanz, Beziehungsdistanz und sozialer Distanz. Sie blockiere den Aufbau tiefer Beziehungen im Verlaufe der Zeit. Eine mangelnde Bereitschaft, mit anderen zu kooperieren oder zum Wohl des Teams Risiken einzugehen, spiegele sich in Leistungsdefiziten wider. Bekomme man die Affinitätsdistanz in den Griff, könne sie operative und physische Distanz ausgleichen.

Und genau dafür könne ein gemeinsamer Purpose im Unternehmen sorgen, so Hespe. Denn wenn das Team und das Unternehmen für sich festgelegt hätten, was Motivation und Ziele seien und wie diese erreicht werden könnten, komme auch das Mindset zum Tragen, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten anstatt darauf zu warten, dass andere meine Probleme lösen.

Vertrauen sei dabei eine Schlüsselfunktion, führte die Lehrbeauftragte an der Alanus Hochschule aus. Vertrauen heiße, sich einerseits zu fragen: Ist das, was ich als Teammitglied oder Führungskraft tue, sinnvoll? Dann, als zweite Komponente: Bin ich empathisch und kann ich mich in die andere Person hineinversetzen und eine gemeinsame Ebene entstehen lassen? Und als Drittes: Bin ich authentisch? Menschen könnten spüren, ob das Gegenüber nur eine Rolle einnehme oder die Person es wirklich gut meine.

Wenn diese drei Komponenten beherzigt würden und Kolleg:innen damit aufeinander zugehen, so Hespe, könne Vertrauen aufgebaut werden. Vorhandenes Vertrauen habe aus wissenschaftlicher Sicht die größte Auswirkung auf die Affinitätsdistanz. Altruismus werde aufgebaut, es entstünden gemeinsame Lernbereitschaft und Erfolg, Innovationen würden gefördert, es entstehe Klarheit und die strategische Wirkung werde deutlich.

Der Purpose der Deutschen Telekom ist: "We will not stop until everyone is connected".Dieser Purpose habe gerade in der Pandemie den Mitarbeitenden geholfen, das Ziel im Blick zu behalten und gemeinsam daran zu arbeiten, verbunden zu bleiben und Menschen weiterhin miteinander zu verbinden.

Zum Ende stellte Yvonne Zwick ihre drei Kernerkenntnisse aus der Veranstaltung dar:

  1. "Endlich einmal wiedersehen, endlich wieder in der Küche stehen."
  2. Die Balance zwischen individueller Freiheit und Gemeinschaft möchte gefunden werden.
  3. Die eine Fairness gibt es nicht – sie ist immer individuell.




Datenschutz | Impressum