Science-Based Targets bieten Unternehmen den Rahmen, Klimaziele methodisch fundiert zu entwickeln und kerngeschäftsrelevant umzusetzen. Ihr wirtschaftlicher Nutzen entsteht jedoch erst durch einen strukturierten Prozess: von der Festlegung eines repräsentativen Basisjahres bis hin zur iterativen Maßnahmenplanung mit Entscheider:innen aus den Geschäftsbereichen.
Klimaziele sind für Unternehmen längst mehr als eine Pflichtübung. Doch die Diskrepanz zwischen den realen Folgen der Klimakrise – von Hitzeschäden über Lieferkettenrisiken bis zu Produktionsausfällen – und dem „Regulatory Rollback“ wächst. Hinzu kommt: Klimamaßnahmen erfordern regelmäßig Investitionen, aber der strategische Wert bleibt oft unterschätzt. Dabei sind wissenschaftsbasierte Ziele nicht nur Vorbereitung für ESRS E1 und CSDDD, sondern bieten durch robuste Maßnahmenplanung auch handfeste Vorteile: Resilienz, potenzielle Kosteneffizienz und Glaubwürdigkeit.
Wer Emissionen offenlegt, systematisch reduziert und Fortschritte transparent macht, stärkt Vertrauen bei Kund:innen, Kapitalmarkt und Mitarbeitenden und zeigt, dass Nachhaltigkeit Teil des Geschäftsmodells ist, nicht dessen Gegenspieler.
Von allgemeinen Zielen zu wissenschaftsbasierten Strategien
Prozentuale Reduktionsziele schaffen Orientierung, aber Science-Based Targets (SBTs) gehen weiter: Sie basieren auf wissenschaftlich fundierten Reduktionspfaden, die mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel sind und den Branchenkontext berücksichtigen. Die Science Based Targets initiative (SBTi) prüft und validiert diese Ziele – ein wichtiger Schritt zu Transparenz und Vergleichbarkeit. Derzeit wird die Methodik der SBTi überarbeitet, um Kritik z.B. an Scope-3-Abdeckung, Vernachlässigung von Klimatransitionsplänen und Umsetzbarkeit aufzugreifen. Die SBTi bleibt weiterhin der wichtigste internationale Standard für wissenschaftlich fundierte Klimaziele.
Schritt für Schritt zu wirksamen, wissenschaftsbasierten Zielen
Damit wissenschaftsbasierte Klimaziele realistisch, überprüfbar und anschlussfähig an regulatorische und freiwillige Anforderungen sind, empfiehlt sich ein strukturierter Zielsetzungsprozess. Dafür bieten sich die folgenden fünf Schritte an.
- Anforderungen relevanter Rahmenwerke verstehen
Zunächst gilt es, die Anforderungen der wichtigsten Rahmenwerke für das Unternehmen zu verstehen, beispielsweise SBTi, ESRS, ISSB, TPT oder VSME. Wichtig ist, diese Anforderungen gemeinsam zu betrachten, um Doppelarbeit zu vermeiden und künftige Entwicklungen – z.B. Änderungen der SBTi-Methodik – frühzeitig einzubeziehen. Nur wer die methodische Landschaft kennt, kann konsistente und zukunftssichere Ziele setzen. - Emissionen im Basisjahr berechnen
Im zweiten Schritt wird die Emissionsbasis, die „Baseline“, definiert. Die Wahl des Basis-jahres ist mehr als eine Formalie: Es muss repräsentativ für die Geschäftstätigkeit sein, über verlässliche Daten verfügen und eine Vergleichbarkeit über mehrere Jahre ermöglichen. Diese Datengrundlage bildet das Fundament, auf dem Ziele aufbauen können. - Ambitionsniveau festlegen – gemeinsam mit relevanten Stakeholdern
Das Ambitionsniveau ist nicht beliebig. Es muss im Austausch mit relevanten Stakeholdern vereinbart werden: von Geschäftsführung, R&D- und Finanzabteilung bis zu Kund:innen, Lieferant:innen und Investor:innen. Orientierung bieten wissenschaftliche Klimapfade, Wettbewerbsanalysen und branchenspezifische Benchmarks. - Ziel mit Maßnahmen iterativ finalisieren
Anschließend wird das Ambitionsniveau in ein konkretes Ziel übersetzt – inklusive Maßnahmen, Zeitplan und Zuständigkeiten. Iterativ werden Annahmen verfeinert: Ist das Ziel zu ehrgeizig oder zu konservativ? Sind Maßnahmen technisch und wirtschaftlich machbar? Diese Fragen sorgen für Balance zwischen Anspruch und Realisierbarkeit. - Kommunizieren und verifizieren
Abschließend wird das Ziel intern verankert und extern kommuniziert, zum Beispiel über die Validierung durch die SBTi oder im Rahmen der ESRS E1-Berichterstattung.
Vertiefung: Drei Zieltypen für die Wertschöpfungskette
Scope-3-Emissionen machen in vielen Branchen über 80 Prozent der Gesamtemissionen aus. Der SBTi-Standard unterscheidet drei Typen von Scope-3-Zielen. Diese Flexibilität erlaubt eine branchen- und kontextspezifische Anpassung – wichtig vor allem bei komplexen Lieferketten mit begrenzten Einflussmöglichkeiten:
- Absolute Reduktion: prozentuale Senkung der gesamten Emissionen. Ritter Sport z.B. will die absoluten Scope3-Emissionen (inkl. eingekaufter Waren) bis 2030 um 42 Prozent gegenüber 2021 reduzieren.
- Intensität pro Einheit: Reduktion je Produktionseinheit oder Wertschöpfung. Kärcher z.B. will die Scope-3-Emissionen aus eingekauften Waren und Dienstleistungen bis 2030 um 51,6 Prozent pro 1.000 Euro Wertschöpfung gegenüber 2022 senken.
- Lieferanten-Engagement: Anteil der Zulieferer, die selbst SBTs setzen. Astra-Zeneca z.B. verpflichtet sich, dass 95 Prozent der Lieferanten (nach Einkaufsvolumen) bis 2025 ein SBT setzen.
Die Wahl des Scope-3-Zieltyps ist essenziell. Durch Wissensaustausch, Anreize und Innovationspartnerschaften können Unternehmen reale Emissionsminderungen erzielen – auch jenseits der eigenen Werkstore.
Wissenschaftsbasierte Klimaziele im Unternehmenskontext
Damit wissenschaftsbasierte Ziele nicht zu Symbolpolitik verkommen, braucht es einen Klimatransitionsplan mit klaren Zwischenzielen, Maßnahmen, Verantwortlichkeiten und Budgets. Gerade Letzteres ist aktuell oft die größte Hürde: Klimabudgets im Unternehmen freizugeben, ist angesichts wirtschaftlicher Unsicherheiten nicht einfach. Der kurzfristige Business Case mag auf den ersten Blick negativ erscheinen, doch es gibt überzeugende strategische Gründe, langfristiger zu denken:
- Resilienzsteigerung: Verringerung von Energie- und Lieferkettenrisiken, Stärkung der Krisenfestigkeit
- Kostensenkung: niedrigere Finanzierungskosten, Effizienzgewinne und Einsparungen durch geschlossene Materialkreisläufe
- Wertsteigerung: Zugang zu wachsenden grünen Märkten durch Innovation
Die Verbindung von Klimaschutz und wirtschaftlichem Nutzen führt dazu, dass ambitionierte Klimaziele nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch Sinn ergeben.
Klimaziele und darüber hinaus
Trotz Rollbacks fordert die Regulierung weiterhin wissenschaftskonforme Klimaziele: Die ESRS E1-Berichtsstandards der EU verpflichten Unternehmen, ihre Klimaziele, Methoden und die 1,5-Grad-Konformität offenzulegen. Wer seine Science-Based Targets im Bericht nicht nur transparent quantifiziert und methodisch erklärt, sondern auch mit der zukünftigen Wertschöpfung im Kerngeschäft verknüpft, sendet ein klares Signal, Klimaschutz als strategische Kernaufgabe und nicht als Compliance-Thema anzugehen.
Wer sein Unternehmen mit Weitblick zukunftssicher aufstellen möchte sowie die Vielzahl der ökologischen Krisen und der damit verknüpften Geschäftsrisiken und -chancen im Blick behalten will, sollte über Klima hinausschauen: Wissenschaftsbasierte Ziele lassen sich auch für Süßwasser, Landökosysteme und Ozeane definieren – über das Science-Based Targets Network (SBTN).
Dies ist ein Beitrag aus BAUM Insights 1/2026.
Der eine der Autor:innen, Philip Buddemeier, beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Nachhaltigkeit. Nach Stationen bei Bain, Save the Children und McKinsey gründete er ein Circular-Economy-Startup. 2020 folgte Better Earth, eine Nachhaltigkeitsberatung, und 2023 Marvelous, ein DeepTech-Venture-Capital-Unternehmen.
Die andere, Fenja Bremer, ist Managerin bei Better Earth. Sie begleitet Unternehmen bei der Entwicklung wissenschaftsbasierter Klimaziele und Nachhaltigkeitsstrategien. Zuvor arbeitete sie u.a. bei den Vereinten Nationen und dem Auswärtigen Amt.
