WARUM IST NACHHALTIGE ÖFFENTLICHE BESCHAFFUNG NOCH NICHT DIE NORM?
Die öffentliche Beschaffung muss weg von der ausgabenorientierten Haushaltsplanung hin zur wirkungsorientierten Haushaltsplanung mit Impact Assessment der Ausgabentitel in der Ressortberichterstattung der Bundesministerien, sagt die BAUM-Vorsitzende Yvonne Zwick und macht weitere Vorschläge, wie sich die Hebel für Innovation und Transformation mit nachhaltiger Beschaffung bewegen lassen.
Am 8. September 2021 nahm die BAUM-Vorsitzende Yvonne Zwick am Expertenworkshop des Rates für Nachhaltige Entwicklung zum Thema "Öffentliche Beschaffung – Hebel für Innovationen zur nachhaltigen Transformation?" teil. Wir veröffentlichen hier ihr Statement zum Thema.
Die größte Hürde für nachhaltige Beschaffung ist fehlendes Know-how und Wissen zu den rechtlichen, technischen und buchhalterischen Möglichkeiten. In der Privatwirtschaft gibt es Methoden zur Bilanzierung von Umweltwirkungen im betrieblichen Ausgabenmanagement, das mit dem Controlling verknüpft in alltäglichen Prozessen integriert werden kann. Diese Ansätze wären übertragbar zum Beispiel im Rahmen der doppischen Haushaltsplanung öffentlicher Haushalte. Eine weitere Hürde ist fehlende Kenntnis der Möglichkeiten nachhaltiger Beschaffung auf Seiten beschaffender Stellen. (Vgl. zu Hemmnissen den Artikel von Ralf Grosse, KNB.)
1. Unklar ist gleichermaßen bei Einkäufer:innen und Anbieter:innen, welche Nachhaltigkeitskriterien und Standards erwartet werden. Dies erzeugt Unsicherheiten auf beiden Seiten in der praktischen Umsetzung: Zu welchen Bedingungen sind als nachhaltig qualifizierte Leistungen zu erbringen? Worauf kommt es an? Oft ist der aktuelle Stand der Möglichkeiten nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen sowie der Integration häufig paralleler strategischer Ansätze nicht bekannt (Bsp.: Verknüpfung von Digitalisierung & Nachhaltigkeit in Bauplanung und Facility Management).
2. Finanzielle Gründe werden häufig als Hindernis angeführt. Der Fokus auf Beschaffungskosten statt umfassende Wirtschaftlichkeitsrechnung dominiert. Ansätze wie True Cost Accounting und Life Cycle Assessments weisen den Weg in die umfassende Wirtschaftlichkeitsrechnung, die auch den gesellschaftlichen Beitrag unterstützen – zum Beispiel Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen in zukunftsfähigen Wirtschaftsbereichen, Beiträge zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, Investitionen in Bildung sowie die Resilienz von benachteiligten Bevölkerungsgruppen, regionale Wertschöpfung und die diversen „-wenden". Es könnte ein lohnendes Projekt sein, in Kooperation mit KNB oder UBA ein Musterbewertungsschema zu entwickeln, wie der Faktor Transparenz in die Lieferkette hinein und Due Diligence rechtssicher und effizient im Vergabeprozess bewertet werden können. Hierfür könnten die bereits heute etablierten, glaubwürdigen Standards zugrunde gelegt werden mit der Perspektive, dass die Berichtsanforderungen gemäß EU-Nachhaltigkeitsstandard ab 2024 berücksichtigt werden.
3. Geringes Bewusstsein bei bei Einkäufer:innen und Anbieter:innen, die Macht der Gewohnheit ist ein weiteres wesentliches Hindernis, das die kulturelle Dimension von Nachhaltigkeit in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung in den Blick rückt.
4. Beschaffer:innen erfahren mangelnde Unterstützung und Impulse durch Vorgesetzte auf allen betroffenen Ebenen. Das Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit formuliert klar neue Standards wie z.B. die Abrechnungsfähigkeit von 20% höheren Kosten bei Buchung nachhaltiger Hotels. Übertragen auf weitere Beschaffungskategorien würde das einen Impuls für soziale Innovation geben, die sich als Maßstab für soziale, regionalwirtschaftliche Innovationen z.B. über den Erhalt von Arbeitsplätzen, das Stärken regionaler Wertschöpfung und von Transformationsbranchen erweist.
5. Das marktseitig schmale Angebot nährt die Sorge der Einkäufer:innen, ob ein zu beschaffendes Gut oder eine Dienstleistung unter Nachhaltigkeitskriterien vergeben werden kann. Wie drehen wir diese Dynamik um? Zwei konkrete Möglichkeiten:
a) Stärkung des Wettbewerbs nachhaltiger Anbieter mittels reduziertem Mehrwertsteuersatz bei nachweislichen Nachhaltigkeitswirkungen, wie sie BAUM in einer Stellungnahme von Mai 2021 anlässlich einer Dialoggruppe Nachhaltigkeit skizziert hat, sowie
b) dramatische Ausweitung des Angebotes mittels zügigem Kompetenzaufbau bei nicht-nachhaltigen Unternehmen.
Wir empfehlen:
1. Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit der Bundesregierung mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verknüpfen, um es strategisch aufzuwerten. Beiträge der öffentlichen Beschaffung zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele würden so sichtbar. Gleiches wäre wünschenswert für unternehmerische Beiträge und Messung der Innovationsbeiträge der Wirtschaft gegen die Subtargets der Sustainable Development Goals. Dies könnte die Wirksamkeitsprüfung und Verbindlichkeit des Maßnahmenprogramms stärken.
2. Weg von der ausgabenorientierten Haushaltsplanung hin zur wirkungsorientierten Haushaltsplanung mit Impact Assessment der Ausgabentitel in der Ressortberichterstattung der Bundesministerien.
3. Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit als kommunikative Chance nutzen: Dialogräume auf regionaler Ebene für Einkäufer:innen und Anbieter:innen schaffen, um positive Dynamik für nachhaltige Angebotsgestaltung auszulösen. Formate könnten in Kooperation mit IHKs und weiteren Partnern aufgesetzt werden. Bottom-up-Ansätze und aktives Engagement von Intermediären als themenkompetente Moderatoren wären zu stärken.
4. Nudging durch Ausschreibungen: Das Umweltbundesamt hat in der Vergangenheit bereits bewusst Anforderungen jenseits des gängigen Standards formuliert, um Marktentwicklung zu betreiben. Die dann innovierten Produkte wurden teilweise mit dem Blauen Engel zum Maßstab erhoben. Damit wurden klare Anreize für Innovation gesetzt, die neue Standards setzte. Diese sollten auch für soziale Kriterien entwickelt werden, wie z.B. auskömmliche Löhne, Sicherung von Arbeitsplätzen in der Region, Eignungskritierium Nachhaltigkeit über die Frage, bis zu welcher Stufe der Wertschöpfung Transparenz gegeben ist, um potenzielle Rufrisiken für öffentliche Hand über die positive Bewertung guter Unternehmensführung und die Existenz eines Nachhaltigkeitskonzeptes im Unternehmen zu bannen.
BAUM organisiert seit Jahren den Wettbewerb Büro & Umwelt unter Schirmherrschaft der Bundesumweltministerin in Partnerschaft mit dem Deutschen Städtetag. Es werden Best Practices nachhaltiger Beschaffung von Unternehmen und Städten ausgezeichnet – wobei letztere Kategorie mangels Bewerbungen oft nicht vergeben werden kann. Es gibt Überlegungen, im Rahmen des Wettbewerbs stärker Anregungen für die nachhaltige Beschaffung im Büro und Home Office zu geben. Hier sind Schnittstellen zu Informationsangeboten wie dem Nachhaltigen Warenkorb von RENN.süd, KNB etc. denkbar.
BAUM Mitglieder aus dem mittelständischen Bereich (z.B. VAUDE) haben (digitale) Akademien aufgebaut bzw. planen dies zu tun, um Mitarbeiter:innen, Geschäftspartner:innen und Lieferant:innen zu schulen, welche Standards in der nachhaltigen Beschaffung wichtig sind. Das JARO Institut hat einen modularen Zertifikatslehrgang für Sustainable Procurement Professionals aufgelegt, der geballtes Wissen auf höchstem Niveau bereitstellt. Aufgrund der Nachfrage der Mitgliedschaft baut BAUM in den kommenden Monaten eine digitale Plattform auf, um diese Angebote, die Pionierwissen aus dem Netzwerk skalierfähig aufbereiten, zentral verfügbar zu machen.
Für weiterführende Gespräche und Vernetzung stehen wir gerne zur Verfügung.
Ansprechpartnerin zum Thema nachhaltige Beschaffung in der
BAUM Geschäftsstelle:
Sandra Wolter
sandra.wolter@baumev.de
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