BEIM DERZEITIGEN TEMPO WERDEN EIN DRITTEL DER SDGS VON DER EU BIS 2030 NICHT ERREICHT
Vor den Europawahlen im Juni beschreibt ein neuer SDSN-Bericht Prioritäten, um die Grundlage für einen neuen europäischen Deal für die Zukunft zu schaffen. Ergänzt wird er durch einen Call for Action von mehr als 200 europäischen Wissenschaftler:innen, Expert:innen und Praktiker:innen, darunter die B.A.U.M.-Vorsitzende Yvonne Zwick.
Der neue Bericht über die nachhaltige Entwicklung in Europa 2023/24 (Europe Sustainable Development Report – ESDR), der am 25. Januar vom UN Sustainable Development Solutions Network (SDSN) in Zusammenarbeit mit SDSN Europe und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) veröffentlicht wurde, zeigt, dass in der Europäischen Union (EU) entscheidende Maßnahmen ergriffen werden müssen, um ökologische und soziale "Kipppunkte" zu vermeiden und das Versprechen aufrechtzuerhalten, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) der Agenda 2030 und die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.
Die fünfte Ausgabe des ESDR, die den SDG-Index und die Dashboards umfasst, verfolgt die Fortschritte der EU, ihrer Mitgliedstaaten und ihrer Partnerländer in Europa bei den SDGs. Der Bericht hebt hervor, dass beim derzeitigen Tempo ein Drittel der SDG-Ziele von der EU bis 2030 nicht erreicht werden, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen den europäischen Ländern gibt; diese reichen im Durchschnitt von einem Viertel in Nord- und Westeuropa bis etwa zu der Hälfte in Südeuropa und Mittel- und Osteuropa. Der Bericht unterstreicht insbesondere die Stagnation und die Umkehrung des Fortschritts in vielen europäischen Ländern in Bezug auf die sozialen Ziele, wobei die Probleme im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Qualität von Dienstleistungen für alle sowie mit Armut und materieller Entbehrung zunehmen, was zumindest teilweise auf die zahlreichen Krisen seit 2020 zurückzuführen ist. Auf globaler Ebene gelingt es der internationalen Finanzarchitektur nicht, die globalen Ersparnisse in dem erforderlichen Tempo und Umfang in SDG-Investitionen zu lenken, was in vielen Teilen der Welt, insbesondere in den ärmsten und vulnerabelsten Ländern, zu einer Umkehrung der Fortschritte bei den SDG führt.
Der diesjährige Bericht zeigt für die EU wesentliche Beiträge auf, um ihre Führungsrolle bei den SDGs zu Hause und auf internationaler Ebene im Vorfeld der Europawahlen im Juni 2024 und des vom UN- Generalsekretär einberufenen Zukunftsgipfels im September 2024 zu stärken.
Guillaume Lafortune,
Vizepräsident des SDSN und einer der Hauptautoren des Berichts, unterstreicht
dies:
"Die politischen Parteien, die für die Europawahlen werben, und die
künftigen Führungskräfte der Europäischen Union tragen eine historische
Verantwortung. Die von allen UN-Mitgliedstaaten im Jahr 2015 verabschiedeten
Ziele für nachhaltige Entwicklung werden in Europa und weltweit nicht erreicht,
obwohl sie die Zukunft sind, die Europa und die Welt wollen. In diesem
Jahrzehnt müssen entschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Jetzt ist jedoch
nicht die Zeit für eine Rücknahme oder Verwässerung des bereits Erreichten und
Vereinbarten, um die Umsetzung der SDGs und des Pariser Klimaabkommens zu
unterstützen. Langfristige Investitionen und regionale Zusammenarbeit sind
erforderlich, um Kompetenzen und Innovationen zu fördern und Chancengleichheit
für alle zu schaffen. In einer multipolaren und fragmentierten Welt müssen Koalitionen
europäischer Vordenkerinnen und Vordenker zusammenarbeiten, um die Grundlagen
für einen neuen europäischen Deal für die Zukunft zu schaffen und international
eine Führungsrolle zu übernehmen, um die nächsten Jahrzehnte der globalen
nachhaltigen Entwicklung vorzubereiten."
Adolf Kloke-Lesch,
Ko-Vorsitzender von SDSN Europe und weiterer Hauptautor des Berichts, betont:
"Die EU sollte ihre globale Rolle und ihre weitreichenden Netzwerke in
wirksame Instrumente der globalen Transformation umwandeln. Indem sie ihre
Außenpolitik auf das globale Gemeinwohl ausrichtet, das in der Agenda 2030 mit
den SDGs zum Ausdruck kommt, kann die EU ihre langfristige strategische
Autonomie nur stärken. Die EU sollte eng mit den G21-Präsidentschaften
Brasiliens (2024) und Südafrikas (2025) sowie mit den G7-Präsidentschaften
Italiens (2024) und Kanadas (2025) zusammenarbeiten, um die SDG-Agenda wieder
auf Kurs zu bringen. Innerhalb beider Gruppen sollten die EU, Frankreich,
Deutschland und Italien ein engagiertes "Team Europa für die SDGs"
bilden, das sich für eine offene und kooperative internationale Ordnung
einsetzt, um die globale nachhaltige Entwicklung voranzubringen. In der
heutigen Welt muss internationale Zusammenarbeit schrittweise wechselseitig
transformativ werden und Partnern sowohl in der europäischen Finanzarchitektur
als auch bei politischen Maßnahmen und Entwicklungen in der EU, die sie in
hohem Maße betreffen, eine Stimme und ein Mitspracherecht geben."
Die SDGs werden in Europa und weltweit nicht erreicht; auf die anhaltenden und zunehmenden Ungleichheiten innerhalb und zwischen den europäischen Ländern müssen Antworten gefunden werden.
Mehrere und gleichzeitige Gesundheits-, Sicherheits-, geopolitische, Klima- und Finanzkrisen führten zu einer Verlangsamung des durchschnittlichen SDG-Fortschritts in der EU, insbesondere durch langsame Fortschritte bei sozioökonomischen Ergebnissen und Umweltzielen. Finnland führt den SDG-Index in diesem Jahr (zum vierten Mal in Folge) an, doch selbst die Länder an der Spitze des SDG-Index stehen bei der Verwirklichung mehrerer SDGs vor erheblichen Herausforderungen. Die EU steht vor ihren größten SDG-Herausforderungen in den Bereichen verantwortungsvoller Konsum und Produktion, Klima und biologische Vielfalt, nachhaltige Landnutzung und Ernährung sowie bei der Förderung der Konvergenz der SDG-Fortschritte in ihren Mitgliedstaaten.
Die diesjährige Ausgabe des ESDR beleuchtet auch die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem in der Agenda 2030 verankerten Grundsatz "Niemanden zurücklassen". Der im Bericht enthaltene "Leave No One Behind"-Index (LNOB) misst die Ungleichheiten innerhalb eines Landes in vier Dimensionen: extreme Armut und materielle Entbehrung, Einkommensungleichheit, Geschlechterungleichheit sowie Zugang zu und Qualität von Dienstleistungen. Der Index zeigt für die meisten europäischen Länder seit 2020 minimale Fortschritte und sogar Rückschritte in drei der vier Dimensionen. Besonders besorgniserregend ist die Situation bei der Unterdimension "Zugang zu und Qualität von Dienstleistungen", in der 32 von 34 europäischen Ländern, die im Index erfasst sind, keinen Fortschritt oder eine Umkehrung des Fortschritts aufweisen. Das wirksame Funktionieren der europäischen Demokratien und Institutionen, die im Mittelpunkt des Übergangs zu einer nachhaltigen Entwicklung stehen, hängt von der Fähigkeit der EU-Führung und der Mitgliedstaaten ab, für Chancengleichheit zu sorgen, die Schwächsten zu schützen sowie Bildung und Kompetenzentwicklung für alle zu fördern.
Wie bereits in früheren Ausgaben zeigt der Bericht auch, dass die EU für erhebliche negative "internationale Spillover-Effekte" verantwortlich ist, die zum Teil durch nicht nachhaltige Konsummuster und internationale Lieferketten verursacht werden.
Auf dem Weg zu einem neuen europäischen Deal für die Zukunft
Im Juni 2024 werden die Bürgerinnen und Bürger der EU das neue Europäische Parlament wählen. Die neuen Führungsspitzen der EU werden dafür verantwortlich sein, den nächsten Siebenjahreshaushalt der EU (2028-2035) zu verabschieden und die nächste globale Agenda für nachhaltige Entwicklung auszuhandeln, um die SDGs über 2030 hinaus fortzuführen. In der derzeitigen fragmentierten und multipolaren Welt muss die EU-Führung einen ehrgeizigeren, integrierten und kohärenten Ansatz verfolgen, um die Umsetzung der SDGs innerhalb der EU und auf internationaler Ebene zu beschleunigen.
Ergänzend zum ESDR 2023/24-Bericht hat eine Gruppe von mehr als 200 Wissenschaftler:innen, Expert:innen und Praktiker:innen aus über 20 europäischen Ländern einen gemeinsamen Call for Action veröffentlicht. Auch die B.A.U.M.-Vorsitzende Yvonne Zwick gehört zu den Unterzeichner:innen.
Der Call for Action richtet sich an die politischen Parteien und die künftige EU-Führung, um mit zehn Prioritäten die Grundlage für einen neuen europäischen Deal für die Zukunft zu schaffen:
- Auf die ernste Gefahr negativer "sozialer Kipppunkte" antworten – das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung unter den europäischen Bürgerinnen und Bürgern deutlich senken;
- Die Anstrengungen zum Erreichen von Klimaneutralität in der EU bis 2050 spürbar verstärken, mit entscheidenden Fortschritten bis 2030;
- Die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften beim Erreichen der SDGs unterstützen – Fortschritte bei den SDGs auf allen Ebenen regelmäßig beobachten und darüber berichten;
- Negative internationale Spillover Effekte eindämmen und die Transformation zu einem nachhaltigen Handelssystem unterstützen;
- Team Europa als Hebel für eine weltweite SDG-Diplomatie nutzen – vielfältige und universelle Formate stärken, insbesondere die Vereinten Nationen;
- Die multilaterale Rolle Europas ausbauen – die weltweiten Anstrengungen zur Reform der globalen Finanzarchitektur anführen;
- Die internationalen Partnerschaften der EU neu auf die SDGs ausrichten – Schritte in Richtung einer gegenseitig transformativen Zusammenarbeit unternehmen;
- Die Finanzmittel für den Wandel hin zu einer nachhaltigen Zukunft mobilisieren;
- Die Integration der SDGs in die strategische Planung, die makroökonomische Koordinierung, die Haushaltsverfahren, die Forschungs- und Innovationsmissionen sowie andere politische Instrumente institutionalisieren;
- Mit der Zivilgesellschaft, einschließlich der Jugend, sowie innerhalb des Europäischen Parlaments neue dauerhafte Mechanismen für ein strukturiertes und sinnvolles Zusammenwirken zu SDG-Pfaden und -Strategien schaffen.
Die 5. Ausgabe des Berichts über die nachhaltige Entwicklung in Europa ist Teil einer größeren Berichtsreihe über nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Report – SDR). Seit 2015 liefert der SDR die aktuellsten Daten, um die Leistung Europas und aller UN-Mitgliedstaaten bei den SDGs zu verfolgen und einzustufen. Der diesjährige ESDR umfasst die 27 EU-Mitgliedstaaten, vier Länder der Europäischen Freihandelsassoziation (Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz), das Vereinigte Königreich sowie die EU-Kandidatenländer (Albanien, Bosnien und Herzegowina, die Republik Nordmazedonien, Montenegro, Serbien und die Türkei)1. Der Bericht wurde von einer Gruppe unabhängiger Expertinnen und Experten von SDSN und SDSN Europe erstellt und von und mit der Zivilgesellschaft in Europa mitgestaltet und erarbeitet. Die diesjährige Ausgabe stützt sich auf drei Workshops und eine öffentliche Online-Konsultation, die zwischen April und November 2023 stattfanden. Die Methodik basiert auf der globalen Ausgabe des Berichts über nachhaltige Entwicklung (SDR), der von der Cambridge University Press und Nature Geoscience peer-reviewed und 2019 von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission (JRC) statistisch überprüft wurde.
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