KI als Arbeitsmittel der Zukunft: ein Werkstattbericht

06. Oktober 2025 | Digitalisierung, Einblicke & Perspektiven, Sustainable Finance & Berichterstattung

Mit dem Entwurf zur Omnibus-Verordnung verursachte die EU-Kommission Anfang 2025 Unruhe in der Nachhaltigkeits- Szene. Lange Jahre war um Inhalte und Details der CSRD und anderer Verordnungen gerungen worden, weil die EU die notwendige echte Veränderung zu mehr Nachhaltigkeit im Wirtschaftsraum erreichen will. Doch dann hieß es: „Stopp. Zu viel Bürokratie“.

Egal ob Berichtspflicht, Managementsystem oder gesetzliche Nachweise: Der Vorwurf, aufwändig und bürokratisch zu sein, haftet Umwelt- und Nachhaltigkeits-Zertifizierungen seit jeher an. Qualitativ hochwertige, belastbare und vergleichbare Aussagen zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsleistungen müssen aber auf empirischen Grundlagen und konkreten Nachweisen fußen. Das geht nicht ohne ein gewisses Maß an Dokumentation.

Diese „Bürokratie“ soll jedoch nicht die eigentliche Zielsetzung und Leistung der entsprechenden Verordnungen überschatten: nämlich mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu gewährleisten. Genau hier setzt das Forschungsprojekt BAICert – Bavarian Artificial Intelligence in Certification Processes der OmniCert Umweltgutachter GmbH an. Als Zertifizierungsstelle für Energieerzeugung sowie Energie-, Nachhaltigkeits- und Umweltmanagement kennt OmniCert die Dokumentationspflichten ihrer Kund:innen nur allzu gut.

Gefördert durch den Freistaat Bayern

OmniCert verarbeitet im Rahmen ihrer Zertifizierungen jährlich rund 100.000 Dokumente – von offenen Excel-Dateien bis hin zu handschriftlichen Mitschriften der Kund:innen. Mithilfe unterschiedlicher KI-Anwendungen sollen die Mitarbeitenden künftig von Routinearbeiten wie dem Sichten auf Vollständigkeit, der Dokumentenablage oder der Extraktion leicht ersichtlicher relevanter Informationen entlastet werden. Durch die Einbindung von Programmierschnittstellen zu anderen Datenbanken wird die Nachweisführung auf Seiten der Kund:innen vereinfacht, weil Informationen nur einmal in eines der Systeme eingepflegt werden müssen und von dort in andere Anwendungen überführt werden können. Der Freistaat Bayern unterstützt aufgrund der hohen Relevanz für die behördlichen Prozesse sowie andere prüfende Berufe OmniCert und ihre Forschungspartnerin, die Ostbayerische Technische Hochschule (OTH) Regensburg, über drei Jahre mit einer Förderung in Höhe von gut 860.000 Euro.

Wissenschaftsbasiert dank Kooperation

Nach dem Start im April 2025 galt es zunächst, die relevanten Stellen im Arbeitsprozess zu identifizieren, an denen eine KI ansetzen und Entlastung schaffen soll. Das BAICert- Team befragte dazu relevante Stakeholder nach ihren Erfahrungen und Wünschen, die das eigene Arbeitsumfeld sowie die Interaktion mit OmniCert als Zertifiziererin betreffen.

Firmenintern analysierten Sachbearbeitende und das BAICert- Team zudem den Hauptarbeitsprozess auf vielversprechende Anknüpfpunkte. Schnell wurde deutlich, dass für den Gesamtprozess ein Mix aus bestehenden KI-Anwendungen und eigener Entwicklung sinnvoll und effizient ist. Für die Auswahl von bereits existierenden KI-Anwendungen definierte das Team klare Anforderungen an Datenschutz, Praktikabilität und Lizenzen (Open Source).

Für die Umsetzung wurden Use Cases definiert, die in den kommenden drei Jahren entwickelt und auf das bestehende ERP-System (Enterprise Resource Planning) von Omni- Cert zugeschnitten werden. Dank Unterstützung durch den Projektpartner Regensburg Center for Artificial Intelligence (RCAI) an der OTH Regensburg kann OmniCert dabei auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse zurückgreifen. Das RCAI hat zu diesem Zweck eine eigene Doktorandenstelle am Labor für Imaging and Data Science (IMDS) geschaffen.

Use Case 1: Einlesen und Sortieren von Informationen

Im Vergleich zum Branchendurchschnitt der Gutachterorganisationen ist OmniCert Vorreiterin im Bereich Digitalisierung. Seit seiner Gründung 2009 entwickelt das Unternehmen das eigene ERP-System und arbeitet an der steten inkrementellen Verbesserung der internen Prozessdigitalisierung. 2017 stellte OmniCert gänzlich auf papierlosen Betrieb um, so dass für das Training der nun zu entwickelnden KI eine große Menge an Daten zur Verfügung steht.

Schritt 1: Extrahieren von Informationen aus beliebigen Dokumenten

  • Das Modell erhält unstrukturierte Daten (Scans, Fotos von Dokumenten, PDFs u.a.) und kann diese selbstständig auslesen. Dieser Dokumentenaustausch zwischen Kund:in und OmniCert erfolgt seit 2024 über das unternehmenseigene Kundenportal.
  • Um die Weiterverarbeitung und eine hohe Extraktionsqualität in den nachfolgenden Schritten gewährleisten zu können, werden die Dokumente optimiert (Bildverarbeitung).
  • Der Dokumenteninhalt wird extrahiert (z.B. mit der Texterkennung OCR) und in die bestehenden Berichte übertragen.

Schritt 2: Sortieren von Dokumenteninhalten

  • Die KI erkennt die extrahierten Inhalte und kann sie klassifizieren.
  • Die Inhalte werden in eine universelle Struktur (ähnlich XML/JSON) konvertiert, um sie als strukturierte Daten via Schnittstelle an ein fortführendes System weitergeben zu können.
Use Case 2: Inhaltlichen Prüfung

Eine KI-Anwendung soll ausschließlich den Abgleich durchführen. Die abschließende Bewertung bleibt immer Aufgabe eines Menschen.

Schritt 1: Automatischer Abgleich mit

  • Gesetzen, Normen, Richtlinien und anderen Vorgaben;
  • vorhergehenden Verfahren;
  • weiterem relevanten „OmniCert-Wissen“, mit dem die KI zuvor trainiert wurde.

Schritt 2: Entscheidungen erklären und kritisch hinterfragen

  • Die KI gibt Rückmeldung zur Güte und Nachvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidung (Explainable KI).
  • Sie erstellt einen prüfungstauglichen Entscheidungsbericht für Fachleute, in dem Anmerkungen der KI hervorgehoben werden.
  • Zudem sucht die KI in ähnlichen Entscheidungsfällen der Vergangenheit nach Informationen, mit denen sie ihre Entscheidung begründen kann.

Fazit

OmniCert versteht KI als wichtiges Arbeitsmittel der Zukunft. Sie will aus dem Projekt ein Prinzip entwickeln und die Unternehmenslogik konsequent von Daten und Lernfähigkeit her neu denken. Dabei soll auf offene, souveräne Strukturen gesetzt werden, um die Datenhoheit durch Open Source zu gewährleisten. KI kann und wird Routinearbeiten übernehmen und als Prüfungshelfer wertvolle Vorarbeit leisten. Vor allem zeitaufwändige Dokumentenablage sowie ein detailreicher Abgleich von Kennzahlen können von intelligenten Programmen schneller und fehlerarm erledigt werden. Die Expert:nnen werden vorrangig inhaltlich arbeiten und Sachverhalte im Zusammenhang mit dem großen Ganzen bewerten und weiterentwickeln.


Dies ist ein Beitrag aus BAUM Insights 4/2025.

Der Autor, Christoph Reithmair, leitet das KI-Projekt BAICert und ist beim BAUM-Mitglied OmniCert für die Digitalisierung von Prozessen und Arbeitsweisen zuständig. Bereits 1999 hat sich der Diplom-Ingenieur mit seiner Firma ars navigandi kundenorientierten Softwarelösungen verschrieben, die nützlich, transparent, datensicher und für alle Seiten angenehm in der Verwendung sind.

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